Karl und Anna by Frank Leonhard

Karl und Anna by Frank Leonhard

Autor:Frank, Leonhard [Frank, Leonhard]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2015-11-01T16:00:00+00:00


V

Die Hausbewohner halfen dazu. Für sie war Karl Annas Mann. Die Kinder sagten Richard zu ihm. Kolonialwarenhändler, Bäcker, Fleischer gratulierten Anna zur Rückkehr ihres totgeglaubten Mannes. Die nächsten Nachbarn grüßten früh und abends: »Herr Richard.« Marie war »ein bisschen verliebt« in ihn. »Nicht zu sehr.« Sie durfte du und Richard zu ihm sagen. Alle sagten Herr Richard. Auch Anna sagte Richard. Und sie sagte es nicht nur. Es wurde allmählich selbstverständlich und in ihr zum Gefühl.

In die Fabrik brauchte Anna nicht mehr. Ihr Mann hatte Arbeit gefunden. Jeden Sonnabend lieferte er ihr den Wochenlohn bis zum letzten Pfennig ab, zog dann sofort und jedes Mal die Gürtelhose höher und streckte jungenhaft die Hand aus. Sie zählte ihm sein Taschengeld darauf.

Annas Bett war breit genug für zwei. Er schlief an der Wand. Sie stand morgens unhörbar auf und kochte das Frühstück, wie das immer gewesen war.

Sie hatte ihr stummes Versprechen gehalten: Sie war im dritten Monat.

Schon ließ er sie nichts mehr heben und tragen. Er sprang nach der Arbeit treppauf, treppab, schleppte Holz und Kohlen herbei, Kartoffeln, schrubbte die Wohnküche.

Es gibt Menschen, die gut werden und sind, wenn es ihnen gutgeht, und Frauen, die unbegreiflich schön sind, wenn sie glücklich lieben; die ununterbrochen diesen ausstrahlenden, tiefen Glanz in Aug und Antlitz tragen, an dem auf der Straße niemand vorübergehen kann, ohne ihn zu sehen und zu fühlen.

Anna war hundertmal im Tag beseligt, wenn sie ihren Mann sah, an ihn dachte, wenn sie sich erinnerte, was er zu ihr gesagt, wie er sie angesehen, was sie von ihm empfangen hatte. Ihr Leben tönte.

Seine Hingabe war stürmisch und zugleich zärtlich und behutsam wie die Liebe einer Mutter. Er sah und fühlte zu Hause, auf der Straße, in der Fabrik, auf dem Hin- und Rückweg nur Anna. Sein Leben war Anna. Sein Blut hatte Annas Gestalt. Er war ruhig dabei: Sie liebte ihn.

An den Abenden arbeitete er an der Fertigstellung einer schon ausprobierten kleinen Erfindung – Verbesserung des Automatismus einer Revolverdrehbank –, die ihm ein paar hundert Mark eingebracht hatte. Für das zu erwartende Kind!

Das war in ihm ein klarer, blauer See, dieses ständige Bewusstsein abends auf dem Heimweg, dass er Anna zu Hause antreffen werde. Dieses Bewusstsein. Und wenn er sie nicht antraf, wenn sie nicht in der Stube saß, war sie doch da. Sie war da in der Art, wie eine Tasse neben dem Gaskocher stand, wie eine Pfanne hing, wie ihr Nähbeutel auf dem Sims lag.

Trat sie dann ein, blieb er sitzen und folgte ihr mit dem Blick. Bewegten sich an ihrer Stirn im Luftzug lose Härchen, war er beglückt. Sie fühlte alles. Sie strich, während sie das Abendbrot richtete, im Vorbeigehen ihm über Kopf und Schulter.

»Wo warst du denn, Anna?«

Und es tönte wie das Glück selbst, wenn sie mit ihrer Stimme, die ihr so sehr glich, antwortete: »Ich war beim Schuster. Ich glaube, Richard, deine Stiefel werden wieder ganz schön.«

Das klang ihm, als hätte sie gesagt: Ich liebe dich mehr als mein Leben.

Er liebte sie tausendmal mehr als sein Leben. Sein Leben war bis zu seiner Rückkehr leer, ewige Unruhe und Herzdruck des Alleinseins gewesen.



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